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ellen harlizius-klück
 
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Antike Dichter haben die Fähigkeiten der webenden Frauen stets bewundert und sich ihre rhythmische Arbeit an den bild- und musterreichen Geweben zum Vorbild für die eigenen Textgewebe genommen. "Wie ein Wunder zu schauen... " lautet ihre dichterische Wendung im Angesicht der textilen Arbeiten, von denen heute kaum etwas erhalten ist.

Heutzutage werden Textilien in großer Zahl, hoher Geschwindigkeit und zu niedrigsten Preisen produziert. Im Zuge von Industrialisierung und Globalisierung ist die Wertschätzung von Textilien verloren gegangen. Was Dichter und Philosophen nicht nur in der Antike an ihnen faszinierend fanden, ist nur schwer rekonstruierbar.

In mehreren Texten habe ich solche Rekonstruktionen versucht. Eine kleine Geschichte von der Metapher der nackten Wahrheit liefert das (versäumte) Vorwort des Bandes selfactor: Zeitformen des Textilen - Schnittformen der Zeit. Angeregt durch die Verwendung des Begrifes prétexte (Vorwand) bei Jacques Derrida begann eine Erforschung dieses textilen Vorwands (der tatsächlich ein Saum war) durch die Philosophie- und Technikgeschichte hindurch.

Die Dissertation Weberei als episteme untersucht das Motiv der Ordnung und Verflechtung durch Weberei in einem Dialog Platons. Hier zeigt sich ein enger Zusammenhang des vorgewebten Saumes (Vorwand, prétexte) und seiner Herstellung mit der dyadischen Arithmetik, also der Lehre von den geraden und ungeraden Zahlen, die als Ursprung der griechischen Logik und damit der deduktiven Wissenschaft überhaupt gilt. Die Arbeit an der dyadischen Arithmetik in Philosophie und Weberei wurde im Jahr der Mathematik 2008 gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Projektbeschreibung und -dokumentation ab März 2009 unter www.praetexta.de.

Den Zusammenhang von Mathematik und Weberei behandeln auch die Beiträge "Hahnentritte, oder: Über die Liebe im Stoffmuster und den Satz des Pythagoras" und "Kunst / Stoff / Mathematik: Zur Unberechenbarkeit des Sichtbaren". Zusätzlich mit Fragen des Geschlechts befassen sich die Beiträge: Das Gewebe der Geschlechter und der Faden der Logik, und mit Blick auf die Binarität: Zahlverwandtschaften.

Die Ergebnisse der Untersuchung des Begriffs prétexte und seines Bezugs zu Fragen der Genealogie nicht nur der Geschlechter fasst das Wörterbuch Saum & Zeit in 496 Abschnitten zusammen. Hier findet man auch Ansätze und Material zu einer Analyse der Mariensäume in Verkündigungsbildern und Darstellungen der Geburt Christi.

 
© harlizius-klück 20/11/11